Advent feiern. Das können wir am besten in unseren Kirchen, fernab von dem vorweihnachtlichen Trubel. In unserer historischen St. Andreas-Kirche kann man aber auch in die Geschichte unseres
Dorfes und unserer Kirche eintauchen. 1471 – also vor über 500 Jahren – haben die Menschen in Kalchreuth, unterstützt durch die Patrizierfamilie Haller von Hallerstein aus Nürnberg, diese Kirche
gebaut. Zunächst ohne Turm, aber mit einem wunderschönen Schreinalter aus der Werkstatt von Michael Wolgemuth, dem Lehrmeister Albrecht Dürers, und einem Sakramentshäuschen, das die Handschrift
von Adam Kraft trägt.
In der vorweihnachtlichen Zeit ist es vor allen Dingen der Altar, der im Mittelpunkt stehen soll. Im Mittelpunkt unseres spätgotischen Schreinaltars steht Maria. Und das passt gut für eine
adventliche Einkehr in diesen Tagen. Maria ist gekleidet in Gold, Rot und Blau. Blau ist die Farbe des Himmels und der Weite. Gold, alles überstrahlend, königlich, wertvoll, warm. Rot ist die
Farbe der Liebe, warm wie das Feuer, aber zugleich eine warnende Signalfarbe und die Farbe des Blutes.
Die Gottesmutter
Maria – wir kennen sie alle und wissen doch recht wenig über sie. Hat sie etwas Heiliges, gar etwas Göttliches an sich, oder ist sie wie du und ich, ein ganz normaler Mensch? Die Farben lassen
erkennen, dass sie als Himmelskönigin verehrt wurde.
Maria, die Mutter Jesu. Meist kommt sie in unserer evangelischen Kirche nur in der Advents- und Weihnachtszeit vor. Sie ist es, die Jesus zur Welt bringt. Damit hat sie bei uns Evangelischen
ihren Teil erledigt und tritt wieder ab. Als Frau und Mutter kannte sie Freuden und Sorgen des Lebens. Sie wusste, was es heißt, ein Kind unter dem Herzen zu tragen und es zu gebären.
Erziehungsschwierigkeiten und das Loslassen-Müssen eines Kindes waren ihr nicht fremd.
In der katholischen Kirche hat die Gottesmutter Maria eine wichtige Aufgabe: Sie hält das mütterlich-weibliche Element in der Kirche wach. Wenn wir eine Marien-Ikone anschauen, dann kommt uns
darin sehr viel Wärme entgegen. Dabei will eine Ikone nie ein Abbild sein, sondern vielmehr ein Hinweis: Schau, so ist Gott! So liebevoll, so voller Zuneigung, so mütterlich. In diesem Sinne täte
auch uns Evangelischen etwas mehr Besinnung auf Maria gut. Geht es doch eigentlich darum, dass wir wieder mehr ein Gespür dafür bekommen, dass Gott größer ist als jedes Geschlecht. Gott ist weder
Mann noch Frau. Aber Gott kann uns Vater sein und Mutter, Freund und Freundin.
Maria, die Mutter Jesu, wer war sie? Was können wir von ihr lernen? Was kann sie uns heute für unseren Glauben geben?
Maria und der Engel
Wenn wir uns in unserer Kirche umschauen, dann entdecken wir Maria ganz oft: In unserem spätgotischen Schreinaltar, im Anna Selbtritt-Altar oder als Pieta mit dem strebenden Jesus und zuletzt in
der Dorsalie, einem unserer Wandteppiche. Meist wird sie als Himmelskönigin dargestellt.
Ich lade Sie ein drei Szenen aus dem Leben der Maria zu betrachten. Zwei der Bilder finden wir auch in unserem Altar, der von Jesu Geburt erzählt.
„Im sechsten Monat aber wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt von Galiläa, mit Namen Nazareth, gesandt, zu einer Jungfrau, die einem Mann namens Joseph, aus dem Haus Davids, verlobt war,
und der Name der Jungfrau war Maria. Und er kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, Begnadigte! Der Herr ist mit dir. Sie aber wurde bestürzt über das Wort und überlegte, was für ein Gruß dies
sei. Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Denn du hast Gnade bei Gott gefunden. Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm seinen Namen
Jesus nennen. Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und der Herr, Gott, wird ihm den Thron seines Vaters David geben; und er wird über das Haus Jakobs herrschen in Ewigkeit,
und seines Königtums wird kein Ende sein.“ (Lukas 1, 26-33)
Lukas schildert uns die wundersame Begegnung Marias mit dem Engel Gabriel. Wie viele Maler hat diese Szene inspiriert, sie bildlich festzuhalten und darzustellen? Wie der Engel überraschend da
ist und wie Maria erschrickt über diese plötzliche Erscheinung. Die Szene ist auch in unserem Altar festgehalten.
Maria scheint eine achtsame junge Frau gewesen zu sein. Eine Frau, die auch die Stille gesucht hat. So, dass ihr sogar ein Engel erscheinen konnte. Denn die Engel sind ja immer da. Aber wer sieht
sie schon? Maria hat ihn gesehen. Sogar mit ihm geredet und nachgefragt: Wie soll das zugehen? Und dann erst, ganz am Schluss des Gesprächs, ist sie bereit zu sagen: „Ja, ich bin des Herrn Magd;
mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Als freie, junge Frau entscheidet sie sich, den Weg Gottes zu gehen. Den Weg, der ihr ganz persönlicher Weg werden würde. Als freie, junge Frau entscheidet sie
sich Gott zu dienen mit ihrem Leben. Nur wer frei ist, kann sich auch frei zum Dienen entscheiden. Hier bittet Gott in Gestalt eines Engels einen Menschen, und Maria antwortet. Und so begegnet er
auch uns. So liegt es an uns, ob auch wir uns rufen lassen, Gott zu dienen. Wir sind frei, uns zu entscheiden.
Maria bei Elisabeth
„Maria aber stand auf in den Tagen und ging auf das Gebirge eilends zu der Stadt Judas und kam in das Haus des Zacharias und grüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias
hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth ward des heiligen Geistes voll und rief laut und sprach: Gebenedeit bist du unter den Weibern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes!
Und woher kommt mir das, dass die Mutter meines HERRN zu mir kommt? Siehe, da ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte mit Freuden das Kind in meinem Leibe. Und o selig bist du, die du geglaubt
hast! denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem HERRN.“ (Lukas 1, Verse 39-48)
Maria bei Elisabeth. Zwei schwangere Frauen begegnen sich. Die eine schon älter oder gar alt, die andere blutjung, wohl um die 15 Jahre nur. Aber beide tragen Leben, werdendes Leben in sich. Was
alt und schon erstorben schien, wie durch Gottes Gnade noch einmal lebendig und fruchtbar. Das Unmögliche wird möglich. Die Welt steht Kopf. Nichts ist mehr, wie es war. Bei Gott gelten andere
Gesetze und Werte. Maria hat es an sich selbst erfahren, und auch Elisabeth: Die ganz einfachen Menschen hat Gott erwählt. Die alten, die sich schon zu alt für Neues fühlen, wie Elisabeth. Und
die ganz jungen, die noch nichts vorzuweisen haben, wie das junge Mädchen Maria. In beiden ist jetzt eine starke Kraft lebendig. Und das nicht nur heimlich, still und leise, sondern durchaus
hörbar, sichtbar und spürbar.
So kann die junge Maria uns Frauen heute Vorbild sein, das Wort zu ergreifen und uns für die lebenswichtigen und lebensdienlichen Werte einzusetzen: Dass Hungernde nicht hungrig und Erniedrigte
nicht weiter entwürdigt bleiben müssen. Auch wir sind aufgerufen, alle, ob Frau oder Mann, ob jung oder alt, unseren Mund aufzumachen. Das kann mit einem Lied oder Gebet anfangen wie bei Maria.
Vielleicht kann es aber auch heißen, auf die Straße zu gehen, sich in der Zeitung zu Wort zu melden oder sich sonst Gehör zu verschaffen, wo es nötig ist. Maria ergriff das Wort, ergreifen wir es
auch!
Sie behielt alle diese Worte in ihrem Herzen
„Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ – So lesen wir am Ende der Weihnachtsgeschichte. Und ähnlich heißt es am Ende der Geschichte, als der 12-jährige Jesus im
Tempel diskutiert: „Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? Seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.“
Neun Monate hatte sie ihn unter dem Herzen getragen: Danach auf den Armen. Aber es ging ihr wie jeder Mutter: Auch Maria musste ihr Kind loslassen. Er ging seinen eigenen Weg. Er musste ihn
gehen. Und doch behielt sie etwas vom ihm ganz tief in sich. Worte, die über ihn gesagt wurden, und Worte von ihm selbst. Erlebnisse, die ihre Spuren hinterlassen haben. Maria bewahrt das Wort.
Sie bewahrt und bewegt es und geht damit um. Aber so, wie sie das Wort trägt, trägt auch das Wort sie: Durch schwere Zeiten hindurch, durch Spannungen und Konflikte.
So finden wir gerade Maria später im Kreis der Jünger wieder. Sie hat das Wort bewahrt, und das Wort hat sie bewahrt und durch schwierige Zeiten hindurch getragen. Selbst der Tod des
Erstgeborenen wurde ihr nicht erspart. Und so wurde sie als die große Schmerzensmutter schon für unzählige Frauen und Mütter zum Vorbild und zur Quelle der Kraft, wenn sie ein Kind verloren
haben. Dargestellt ist dies in unserer Pieta auf der linken Seite neben dem Anna Selbtrittaltar.
Maria – zu ihr gäbe es sicherlich noch viel mehr zu sagen und unsere Altarbilder schließen mit dem Bild ihres Todes in Mitten der Jünger. Als zentrale Figur steht sie zwischen unserem
Schutzheiligen St. Andreas und Petrus in der Mitte unseres Altars. Als Himmelskönigin gekrönt durch zwei Engel auf einer Mondsichel stehend.
Maria, die einfache Frau. Und doch auch die besondere Frau – Himmelskönigin? Ob wir auch so offen, bereit und stark sind, wenn Gott heute zu uns kommt?
Susanne Michler